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Die „Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ (kurz: Würzburger Synode) feiert in diesem Jahr 50-jähriges Jubiläum. Wer einer jüngeren Generation angehört und sich mit kirchlichen Themen beschäftigt, kennt diese Synode nur mehr aus Texten und Berichten. Wer einer jüngeren Generation angehört und kirchlich sozialisiert ist, dürfte aber viele ihrer Wegweisungen und Paradigmen in Kirche und Gemeinde am eigenen Leib erfahren haben. Denn diese Synode setzte für die kirchliche Pastoral der folgenden Jahrzehnte Maßstäbe.

Liest man heute – was durchaus lohnenswert ist – die Synodentexte, so fällt einem eine eher positive Grundstimmung auf: Obwohl verschiedentlich kirchliche Niedergangsprozesse beobachtet werden, herrscht dennoch ein grundsätzlich optimistischer – und auch kraftvoller – Duktus vor. Nicht nur in Kirche und Gemeinde schien damals noch vieles möglich: Gesellschaftliche Breitenwirkung und eine Wahrnehmung kirchlicher Botschaften in der Öffentlichkeit wurden in den Texten (noch) vorausgesetzt! Darauf weisen etwa Appelle zu politischen (z.B. Demokratiebewegung) und sozialen (z.B. Gewerkschaftsstreit) Entwicklungen oder ein eigenständiger Beschluss zur Sorge um ausländische Arbeitskräfte hin.

Viele Synodentexte formulierten für die kirchliche Pastoral Standards, die auch heute noch von vielen Gläubigen als selbstverständlich empfunden werden, etwa in der Tauf-, Firm- und Ehevorbereitung oder in der Ökumene. Die Etablierung eines Erwachsenenkatechumenats, neue Leitlinien für eine christliche Erziehung oder der Umgang mit sogenannten Patchwork-Familien sind dabei Beispiele für Weiterentwicklungen, die von der Synode vorangetrieben und etabliert wurden. Damit sind die vorliegenden Texte auch nicht als fertige Endprodukte, sondern als Momentaufnahmen für den damaligen Konsens zu verstehen. Gegenwärtige pastorale Notwendigkeiten wie etwa bei der Vorbereitung auf das Sakrament der Versöhnung, in der kirchlichen Jugendarbeit oder in der Integration wiederverheiratet Geschiedener bedürften einer ähnlichen Debatte. Immer wieder revisionsbedürftig ist sicherlich auch die im Gefolge der Synode forcierte Einrichtung von Räten auf unterschiedlichen Ebenen (Priesterräte, Diözesanräte, Katholikenräte, Pfarrgemeinderäte etc.). Aktuelle Beispiele in verschiedenen (Erz-)Bistümern zeigen hier Veränderungsbedarf an. Die Art und Weise der Diskussion und die oft mühsame Kompromissfindung und Beschlussfassung der Synode könnten damit wegweisend für spätere und heutige Zeiten sein – sowohl auf teilkirchlicher wie auch auf lokaler Ebene. Gegenseitiges Zuhören, Dialog und Kompromissbereitschaft sind Fähigkeiten, die es je neu einzuüben gilt – und zwar auf allen Ebenen des Kircheseins!

Blick auf die Südseite des Würzburger Doms

Blick auf die Südseite des Würzburger Doms; Bild Julia Monaco

Kirchlich sozialisierte Menschen sind zwischenzeitlich aber wenig erstaunt – vielleicht sogar resigniert –, dass die bereits bei der Würzburger Synode kontrovers diskutieren „heißen Eisen“ wie die Weihe von viri probati, der Zölibat, der Diakonat für Frauen, die Laienpredigt in der Eucharistiefeier oder der Kommunionempfang für wiederverheiratet Geschiedene weiterhin als brennende Themen in der katholischen Kirche existieren – Themen, denen durchaus hohe Relevanz für die kirchliche Pastoral zukommt. Mit diesen „heißen Eisen“ lässt sich jedoch auch eine für die kirchliche Pastoral im deutschsprachigen Raum typische Konzentration auf die Organisationsebene feststellen, die in den Texten der Würzburger Synode zum Ausdruck kommt: Es findet sich hier ein Fokus auf Ämter, Funktionen und Positionen sowie auf die dazugehörigen Aufgaben, Rechte und Pflichten. Dazu gehört die Einrichtung zahlreicher Funktionsstellen in den Ordinariaten bzw. auf regionaler Ebene, die in den Texten vielfach empfohlen wurden, so etwa Stellen zur Bearbeitung herausfordernder Lebenssituationen (z.B. Migranten- und Arbeiterseelsorge, Hochschul- und Familienpastoral) oder die Einrichtung von Kommissionen, Räten oder Gremien auf der lokalen Ebene (z.B. Ausschüsse zu politischen, gesellschaftlichen oder ökumenischen Anliegen), auf der Ebene der Teilkirchen (z.B. für Ehe und Familie, für die Arbeiterschaft, für die Mission) oder auf der Ebene der Bischofskonferenz (z.B. das nie eingerichtete Pastoralinstitut auf nationaler Ebene). Ihnen gemeinsam ist, dass sie in organisierter Weise und in Orientierung an „weltlichen“ Vorbildern wie z.B. Regierungsbehörden oder zivilgesellschaftlichen Organisationen an der Bearbeitung gesellschaftlicher Problemlagen mitwirken, um auf diese Weise die Sendung der Kirche in der Welt zu verwirklichen. Es mag ein Spezifikum des deutschsprachigen Raumes sein, hierfür den Weg organisierter Strukturen mit dazugehöriger Ausarbeitung von Konzepten, Programmen und Leitbildern zu wählen – ein Weg, der durch die vormals üppige Ausstattung mit finanziellen und personellen Ressourcen lange Zeit gut gangbar war. Dieser Weg erscheint oft mühsam und langwierig; gleichzeitig steht er für Verlässlichkeit und Kontinuität.

In der Pastoraltheologie am breitesten diskutiert wurde in den letzten Jahrzehnten sicherlich die Maßgabe der Würzburger Synode, Pfarreien als „lebendige Gemeinden“ zu sehen: „Aus einer Gemeinde, die sich pastoral versorgen lässt, muss eine Gemeinde werden, die ihr Leben im gemeinsamen Dienst aller und in unübertragbarer Eigenverantwortung jedes einzelnen gestaltet“ (Beschluss „Die pastoralen Dienste in der Gemeinde“). Mit dieser Leitidee sollte der Übergang von der Volkskirche zur Gemeindekirche, die Hebung des Eigenwertes der Kirche vor Ort, ein charismenorientierter Gemeindeaufbau und eine stärkere Zusammenführung und Integration unterschiedlicher kirchlicher Gruppierungen und Verbände unter dem Dach der Pfarrgemeinde bewerkstelligt werden. Dies geschah zum einen vor dem Hintergrund der Neuausrichtung der Ekklesiologie in Lumen gentium, insbesondere mit der Betonung der Kirche als „Volk Gottes“, des „gemeinsamen Priestertums“ oder des Dienstcharakters des kirchlichen Amtes. In theologischer Hinsicht ergaben sich so Rollen- und Statusveränderungen für jeden Getauften, die strukturelle Veränderungen nach sich ziehen mussten. Zum anderen sorgte die Diagnose einer zunehmenden Säkularisierung für Richtungsentscheidungen, insofern ein stärkeres Zusammenstehen und eine Konzentration auf die christliche Gemeinde als „Gegenmittel“ für die nachlassende Integrationskraft kirchlicher Sozialformen gesehen wurde: Nur durch ein aktives Glaubensleben und eine regelmäßige Teilnahme am Gemeindeleben ergebe sich ein reifer, persönlicher Glaube, der als Vorbild diene und ein Wachstum der Gemeinde befördere. Diese Konzentration auf die Gemeinde als vereinsähnliche Sozialform, Mitmach-Gemeinde oder bürgerliche Religionsgemeinschaft wurde deshalb aufgrund vorherrschender Tendenzen zu Selbstbezogenheit, Geselligkeit und Selbstgenügsamkeit stark kritisiert. Jenseits der (pastoral)theologischen Kritik hat sich diese Form des Kircheseins zwischenzeitlich durch ihr zahlenmäßiges Schrumpfen nahezu von selbst erledigt.

Vielleicht mag es im Rückblick ein zu großer Anspruch gewesen sein, eine one-fits-all-Lösung für die gesamte Territorialpastoral in Deutschland zu präsentieren und diese möglichst flächendeckend zu verbreiten: Zu unterschiedlich waren und sind wohl die Kirchen vor Ort wie auch die Menschen und deren Lebenslagen. Nicht ohne Grund sollte deshalb – so noch die Idee der Synode – ein umfassender Bildungs- und Implementierungsprozess in Gang gesetzt werden, der eine breite Diffusion der synodalen Ideen gewährleisten sollte. Vermutlich ging vieles davon an der Lebenswirklichkeit und den Interessen der meisten Kirchenmitglieder vorbei. Der Anspruch einer Durchsetzung pastoraler Konzepte „von oben“ ist aber auch heute noch weit verbreitet. Eine Alternative wäre es, von vorhandenen Ressourcen und Potentialen her Kirche zu entwickeln und die Menschen nach ihren Bedürfnissen, Sorgen und Ängsten zu befragen. Nicht kirchliche Agenden sind damit der Ausgangspunkt synodalen Denkens und Handelns, sondern der Bezug des Evangeliums zum Leben der Menschen.

Auch die Forderung der Synode nach einer stärkeren Beteiligung der Laien und ihrer Mitwirkung führte nicht selten zu einer Fokussierung auf binnenkirchliche Angelegenheiten wie Liturgie, Katechese, Gremienarbeit oder Gemeinschaftsbildung. Flankiert wurde diese Entwicklung von einer Vielzahl an entsprechenden Bildungs- und Beteiligungsangeboten. Der christliche Sendungscharakter erfuhr auf diese Weise eine Verengung. Damit erwies sich auch weiterhin die Beibehaltung eines Kirche-Welt-Dualismus als sehr werkmächtig, der mit der Pastoralkonstitution Gaudium et spes eigentlich als überwunden gelten musste: Kirche ist kein Sonderbereich der menschlichen Lebenswirklichkeit, sondern Kirche verortet sich in der Welt von heute. Die Selbstbeschränkung der Kirche auf eine – vielleicht religiöse oder institutionelle – Sonderwelt hat das Konzil als pastorale „Häresie“ hinter sich gelassen. Demnach ist auch eine regelmäßig postulierte „Arbeitsteilung“ – Zuständigkeit der Kleriker für eine kirchliche Sonderwelt, Sendung der Laien in die Welt – obsolet: Kirche ist bei den Menschen und ihrer „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (Gaudium et spes 1) angesiedelt und die Glieder dieser Kirche sind es damit ebenso.

Vor diesem Hintergrund kann gerade auch der umfassende Auftrag der Würzburger Synode zu einer besseren „Laienbildung“ als allgemeiner Bildungsauftrag verstanden werden: Es gilt – wie sich mit Gaudium et spes 4 formuliert lässt – „die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen“. Dies ist eine wichtige und nie vernachlässigbare Bildungsaufgabe aller Glieder der Kirche, die sich inhaltlich auf prinzipiell alle Wissens- und Erkenntnisbereiche bezieht. Sie ist eine Voraussetzung, um in der Dramatik dieser Welt und in den Dramen des alltäglichen Lebens das Evangelium in Tat und Wort verkünden zu können. Wenn christliche Bildungsarbeit dennoch eine inhaltliche Fokussierung auf die Gefährdung menschlichen Lebens etwa durch Krieg, Autoritarismus, Ausbeutung, Technik oder ökologischen Wandel vornimmt, dann kommt darin die im Evangelium grundgelegte Option für das Leben und das Eintreten für die Armen und Schwachen zum Ausdruck.

Für die kirchliche Pastoral folgenreich war auch der auf der Würzburger Synode nur halbherzig unternommene Versuch, das Profil der sogenannten Laientheolog:innen als pastorale Mitarbeiter:innen zu schärfen und deren Rolle nicht nur in Abgrenzung zum priesterlichen Dienst zu bestimmen – ähnlich wie der Versuch, die in Lumen gentium nur unspezifisch ausformulierte Wiedereinrichtung des Ständigen Diakonats mit Leben zu füllen. Neue bzw. erneuerte pastorale Dienste, die Etablierung von Gremien und die Einrichtung von Stellen sollten in ihrer Gesamtheit für die Weiterentwicklung der Pastoral sorgen und diese professionalisieren. Und tatsächlich wurde in den folgenden Jahrzehnten ein Schwerpunkt auf mehr Professionalität, mehr Bildung und mehr Expertise gelegt: In die Aus- und Weiterbildung wurde viel investiert – in die Priesterbildung, in die Fort- und Weiterbildung des pastoralen Personals, in die Erwachsenenbildung oder in jüngerer Zeit in die Professionalisierung der Verwaltung.

Zentrale Anliegen der Würzburger Synode waren also – völlig zu Recht: mehr Bildung, mehr Kommunikation und Austausch, mehr Einbezug von Expertenwissen, mehr Ausrichtung auf die Menschen und eine bessere Beteiligung an gesellschaftlichen Aufgaben! Mustergültig kommt dies etwa im Beschluss zum Religionsunterricht mit der Berücksichtigung pädagogischer, werteorientierter und kultureller Ziele zum Ausdruck.

Nimmt man all diese Forderungen nach einem „Mehr“ wahr, dann muss nahezu wie von selbst die ehrliche Rückfrage erfolgen: Hat die Würzburger Synode nichts gebracht? Warum steht „Kirche“ heute so schlecht da? Hat man – etwa in der Pastoral – das Falsche gemacht? Oder war es dann doch zu wenig? Bekannte Antworten auf diese Fragen, wonach die damals diskutierten „heißen Eisen“ nicht zufriedenstellend bearbeitet wurden oder wonach die fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft durch kirchliches Handeln sowieso nicht aufgehalten werden könne, mögen nachvollziehbar sein; vielleicht hat man sich auch zu viele Aufgaben aufgehalst und geglaubt, Kirche könne für viele gesellschaftliche Probleme Lösungen anbieten anstatt sich auf ein „Kerngeschäft“ zu konzentrieren.

Hier lohnen deshalb pastorale Perspektiven: Denn „pastoral“ bezieht sich nicht zuerst auf Fragen, wie Pfarreien oder Gemeinden funktionieren sollen, wie sie aufgebaut sind oder was geweihte und nicht-geweihte Amtsträger oder die in vielen Synodentexten erwähnten und zu rekrutierenden Ehrenamtlichen tun sollen oder dürfen, sondern „pastoral“ stellt eine qualitative Bestimmung von Kirchesein dar, nämlich ein Bei-den-Menschen-Sein. Und „lebendige Gemeinden“ oder Gemeinden, die für sich selbst sorgen, mögen vielleicht so manche kirchliche Probleme lösen; und die im Konzil und von der Würzburger Synode wiederentdeckten Laien können viel für die Kirche leisten. Aber ob auf diese Weise menschliche Probleme gelöst oder zumindest bearbeitet werden und ob dies alles zum Heil und zur Heilung des Menschen beiträgt, ist dagegen mindestens fragwürdig. Eine pastorale Richtungsanzeige vermag damit für synodale Prozesse der Gegenwart überaus hilfreich sein.

PD Dr. Peter Frühmorgen
Peter Frühmorgen

PD Dr. Peter Frühmorgen ist Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Pastoraltheologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg


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