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Heilige Jahre sind Massenevents und als solche wohl eine der erfolgreichsten Erfindungen der katholischen Kirche. Wobei man das mit „Erfindung“ nicht zu streng sehen sollte: Papst Bonifaz VIII. Gaetani ist in das erst heilige Jahr 1300 mehr oder weniger unfreiwillig hineingerutscht. Es gab in Rom eine religiöse Unruhe angesichts der Jahrhundertwende. Die Römer strömten zum Petersdom, um dort beim Veronikabild besondere Vergebung zu erwarten. So fing alles an. Bonifaz hat diese Bewegung aufgegriffen und das erste Heilige Jahr mit dem Jubiläumsablass ausgerufen.

Jubelablässe, also vollkommene Ablässe, gab es schon länger, aber auf einzelne Feste im Jahr beschränkt. Bonifaz erweitert den Jubelablass auf ein ganzes Jahr und ermöglicht es so Pilgern aller Länder, sich noch rechtzeitig auf den Weg nach Rom zu machen. Der Kommerz stand nicht im Vordergrund, weil das Event so selten war. Man hat es erst wieder 1400 gefeiert, dann alle 50 Jahre, schließlich alle 25 Jahre. Inzwischen wurden an die 100 „ordentliche“ und „außerordentliche“ Heilige Jahre abgehalten, und schon 2033 steht das nächste an: 2000 Jahre Kreuzigung Christi.

Bonifacius III. ruft das erste Heilige Jahr aus. Fresco von Giotto di Bondone.

Bonifacius III. ruft das erste Heilige Jahr aus. Giotto, Public domain, via Wikimedia Commons.

Heilige Jahre sind etwas typisch Römisches, weil sie grundsätzlich mit der Pflicht verbunden sind, nach Rom zu pilgern. Selbst als die Päpste in Avignon waren, erforderte die Feier des Heiligen Jahres (1350) die Pilgerfahrt nach Rom. Denn es geht in erster Linie immer darum, die Hauptkirchen der Stadt und vor allem die Gräber der Apostel zu besuchen. Heilige Jahre sind aber auch etwas Universales, weil sie sich an die gesamte Kirche richten. Sie sind ein Alleinstellungsmerkmal der katholischen Kirche, denn man braucht dafür den Papst und den Ablass. Fehlt eins dieser Elemente: Rom – Papst – Ablass, gibt es kein Heiliges Jahr.

Papst Alexander VI. Borgia hat dann das große Jubiläum des Jahres 1500 erstmals mit der Öffnung der Heiligen Pforte – noch im alten Petersdom – verbunden. Damals wurde sie aber nur die „Goldene Pforte“ genannt. Denn man war der Überzeugung, dass es sich hierbei um das Stadttor zum Ölberg hin handelte. Auch dieses Tor war zugemauert, hatte aber einen kleinen Nebeneingang. Die Öffnung der Goldenen Pforte im Petersdom wurde nun zum Top-Symbol des Heiligen Jahres bis heute. Besser hätte man Marketing nicht machen können. Dabei ist die Symbolik von ihrem Ursprung her marianisch: Die Goldene Pforte ist Symbol der Unbefleckten Empfängnis und Jungfräulichkeit Mariens. Gerade die Unbefleckte Empfängnis besagt ja die privilegierte Befreiung Mariens von der Erbsünde. Und um die Vergebung der Sünden und den Nachlass der Sündenstrafen geht es ja beim Heiligen Jahr.

Damit ist nun das große Thema der Heiligen Jahre angesprochen: die Vergebung. Die vor allem von Dominikanern und Franziskanern getragene Theologie des 13. Jahrhunderts – die Scholastik – hat sich unter dem Stichwort der „Schlüssel der Kirche“ Gedanken darüber gemacht, was es mit der Schlüsselgewalt auf sich habe, die Jesus dem Petrus übergibt: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,19). Die Scholastiker haben daraus abgeleitet, dass allen Aposteln und damit allen Bischöfen und Priestern diese Schlüsselgewalt anvertraut sei. Seit Bonifaz VIII. wird die Schlüsselgewalt aber praktisch ausschließlich auf den Papst konzentriert: In der künstlerischen Darstellung trägt nur er die (!) Schlüssel in der Hand. Jedenfalls ist nach der papalen Doktrin nur dem Papst die Vollgewalt der Schlüssel übergeben. Allein er hütet letztlich die Schatztruhe der Kirche und vermag sie aufzuschließen.

Diese Lehre war durchaus diskutabel, hat sich aber durchgesetzt. Dabei darf man nicht das Wesentliche aus den Augen verlieren: Im Kern geht es um etwas Positives: die Vergebung (lateinisch: Indulgentia; italienisch: Indulgenza; französisch: Indulgence; englisch Indulgence). Leider haben die Deutschen, statt einfach von „Vergebung“ zu sprechen, dafür ein eigenes Wort erfunden, nämlich „Ablass“, das dann durch Luther einen so negativen Klang bekommen hat. Aber eigentlich ist das Anliegen der Heiligen Jahre doch etwas Positives: Man will die „vollkommene Vergebung“ – die indulgentia plenaria – gewinnen.

Über Jahrhunderte hinweg haben sich die Menschen auf den weiten Weg nach Rom um der „vollkommenen Vergebung“ willen gemacht. Stehen heute Sightseeing und Selfies ganz im Zentrum, so machte man sich damals auf, um so viel Vergebung wie möglich in den Kirchen Roms zu gewinnen. Der Pilger vor der Renaissance hatten keinerlei Augen für Kunst und Schönheit, sondern nur für Reliquien, Heiltümer und Wunderkammern. Das wissen wir alles aus den „Ablassbüchern“ des 13. bis 15. Jahrhunderts, die den Pilgern als Stadtführer dienten.

Bereits im Barock treten an deren Stelle handliche „Kulturführer“, immer noch fromme Büchlein zu den Wunderkammern der Kirchen Roms, aber nun auch mit der Beschreibung des Kirchenraums, der Mosaiken, Malereien und sonstigen Kunstwerke.

Der Mönch Martin Luther hat dies alles nicht kritisiert. Er hat bei seinem Romaufenthalt 1511/12 selber die Vergebungen in vielen Kirchen Roms gewonnen. Was Luther hingegen angesichts seines starken Sündenbewusstseins abgelehnt hat, war die Entkoppelung der Vergebung von den Bußwerken (Fasten, Wallfahrt, gute Werke), also Ablässe, die man einfach kaufen konnte. Das waren in der Tat Missbräuche, die es vor allem in seiner deutschen Heimat gab.

Aufhänger der späteren Ablasskritik der Reformatoren ist der Neubau von Sankt Peter, der 1506 beginnt. Um dieses Riesenbauwerk zu finanzieren, muss der Ablass in ganz Europa dafür herhalten, möglichst viel Geld zu gewinnen. Dabei ist natürlich die Geldspende als Buße eine völlig normale Angelegenheit seit der Zeit der Apostel. Was hier störte, war die totale Kommerzialisierung der Gnade. Die Kirche sah sich als Monopolistin der Gnade, die die Preise gestalten konnte, wie sie wollte. Natürlich waren das krasse Fehlentwicklungen, aber die sind dann doch – Gott sei Dank – überwunden.

Papst Franziskus öffnet die Heilige Pforte 2015.

Papst Franziskus öffnet die Heilige Pforte 2015. Centro Televisivo Vaticano, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Stefan Heid

Prof. Dr. Stefan Heid ist Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft, Rektor des Päpstlichen Instituts für Christliche Archäologie sowie Gastprofessor an der Päpstlichen Universität Gregoriana. Für Theologie im Fernkurs ist er als Referent bei den Studienwochen in Rom tätig.


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