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Antike Perspektiven auf ein aktuelles Thema

Die Nachfrage nach vegetarischen und veganen Fleischalternativen steigt weltweit, und dieser Trend ist in Deutschland besonders stark zu spüren: Supermärkte führen oft eine breite Palette an Bratlingen, Nuggets oder Würstchen auf Milchbasis oder auf der Basis von pflanzlichen Zutaten wie Soja, Erbsen oder Rote Bete. Die Motivation, auf den Genuss von Fleisch zu verzichten, liegt bei vielen Menschen im tierethischen Bereich, denn sie lehnen die moderne Massentierhaltung, problematische Schlachtbedingungen oder überhaupt die Tötung von Tieren zum Zwecke des Fleischverzehrs ab. Viele Argumente, die in den zeitgenössischen Diskursen angeführt werden, sind jedoch keineswegs neu, sondern finden sich bereits in der griechisch-römischen Philosophie. Ein besonders prominentes und engagiertes Plädoyer für eine fleischlose Lebensweise ist die Schrift „Über den Fleischverzehr“ (Perí sarkophagías) des griechischen Philosophen Plutarch (ca. 50–120 n. Chr.).

Antike Philosophie und Fleischverzehr

In der antiken Philosophie dominierte die eher tierfeindliche Haltung der Stoiker, die über die christliche Spätantike und das Mittelalter bis in die Neuzeit hinein wirkte. Die Stoiker machten den Besitz von Vernunft am syntaktisch strukturierten Sprachvermögen (lógos) fest: Nur der Mensch habe Vernunft und Sprache, die übrigen Lebewesen seien dagegen áloga, sprachlos bzw. unvernünftig. Sie hätten keine Wahl zwischen Tugend und Schlechtigkeit, könnten nicht frei urteilen und frei handeln, und daher bestehe auch keine Rechtsgemeinschaft zwischen Tieren und Menschen. Menschen dürften Tiere für ihre eigenen Zwecke nutzen und so auch töten und essen. Plutarch dagegen war stark von der platonischen Philosophie beeinflusst und vertrat gegen den tierfeindlichen stoischen Mainstream die Vorstellung, dass auch Tiere Vernunft besäßen, dass Menschen ihnen gegenüber moralische Verpflichtungen hätten und sie daher nicht einfach zum Zwecke der Ernährung töten dürften. Diese pro-vegetarische Haltung teilte Plutarch mit der pythagoräischen Philosophie, für die die Reinkarnationslehre eine zentrale Rolle spielte: Man glaubte, dass die Seelen von Menschen in Tierkörpern wiedergeboren werden könnten und dass daher die Gefahr bestehe, einen verstorbenen und reinkarnierten Freund oder Verwandten zu töten und zu essen.

Büste Plutarch von Chäronea

Büste Plutarch von Chäronea; Bild: User:OdyssesCC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Ein Ausblick in die christliche Spätantike

Plutarchs tierfreundliche Argumentation wirkte in der neuplatonischen Philosophie stark nach, kaum jedoch in der frühchristlichen Literatur. So wirft etwa der Kirchenvater Augustinus (354–430) die Frage auf, ob man das Gebot „Du sollst nicht töten“ auch auf Tiere oder gar Pflanzen ausweiten müsse, und lehnt diesen Gedanken klar ab: Tiere hätten keine Vernunft und stünden daher auf einer Stufe unterhalb der Menschen; Gott habe die Tiere dem Menschen unterstellt, so dass er sie für seine eigenen Zwecke nutzen und ggf. auch töten könne.3 Umso bemerkenswerter ist daher das überraschend tierfreundliche Zeugnis des Apologetikers Arnobius († 330 n. Chr.), der im Rahmen seiner Argumentation gegen die heidnische Praxis des Tieropfers einen Ochsen eine fiktive Rede halten lässt:4 Der Ochse bezweifelt die Rechtfertigung der Tierschlachtung, die auf der angeblichen Minderwertigkeit und Vernunftlosigkeit der Tiere gegenüber den Menschen beruht, und stellt in Frage, dass man ein unschuldiges Tier schlachten dürfe, um die moralischen Übel von Menschen zu sühnen. Nur weil die Menschen die Laute der Tiere nicht verstünden, bedeute das nicht, dass Tiere nicht vernünftig handeln und sich untereinander nicht sinnvoll verständigen könnten. Die Parallelen zur Schrift des Plutarch sind frappierend, doch die Argumentation für die Tiervernunft und gegen die Tiertötung ist für den Christen Arnobius kein Selbstzweck. Ihm geht es nicht primär um Tierwohl und Vegetarismus, sondern um Polemik gegen heidnische religiöse Praktiken.

1 Vgl. Plutarch, Moralia 993A–C. Die hier abgedruckten deutschen Übersetzungen folgen mit geringfügigen Änderungen C. Weise/M. Vogel (Hgg.), Plutarch: Moralia. Neu gesetzt und behutsam revidiert nach der Ausgabe Griechische Prosaiker in neuen Übersetzungen, hrsg. von C.N. von Osiander und G. Schwab, Stuttgart, 1828–1861, Bd. 1 und 2, Wiesbaden 2012.

2 Vgl. Plutarch, Moralia 994D–E.

3 Vgl. Augustinus, De civitate dei („Über den Gottesstaat“) 1,20.

4 Vgl. Arnobius, Adversus nationes („Gegen die Heiden“) 7,9.

Portrait Dr. Hedwig Schmalzgruber
Hedwig Schmalzgruber

Dr. Hedwig Schmalzgruber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Klassische Philologie am Institut für Antike der Universität Graz. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Mensch-Tier-Beziehungen in der griechisch-römischen Antike und frühchristliche lateinische Literatur.


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